Mai 2011
Du hast deinem Vater ziemliche Schande gemacht! Du hast deine rechte
Hand gegen ihn erhoben (In Wirklichkeit war ich mal wütend auf ihn gewesen). Du
solltest doch nichts weitererzählen von dem, was ich dir gesagt habe. Nur malen
solltest du es. Das habe ich dir doch mehrmals gesagt!“ (Ich sollte damals die
Dinge, die ich über den Bau herausgefunden hatte, für mich behalten und nicht
anderen weiter erzählen. Nur malen durfte ich die Dinge, die ich gesehen
hatte.) Tatsächlich habe ich mich aber um diese Anweisung damals nicht
gekümmert.
Durch seine Beschäftigung in der Basis, die wohl hauptsächlich darin bestand, Augenfilme zu schauen, bekam er auch das eine oder andere von der Außenwelt mit, vorwiegend jedoch vom Bau, der Kolonie, die sich ganz in seiner Nähe befand. Vieles von dem, was er in den Filmen sah, galt es aufzuzeichnen.
Ein Gefängnis ist nur dann ein Gefängnis, wenn man dort tatsächlich auch gefangen ist. Dafür sorgen entsprechende Absperrmechanismen. Solche gab es auch in der Basis, wie z.B. eine künstliche Geisterscheinung, welche einen am Betreten sensibler Bereiche hinderte.
Kaum erreichte sie jedoch die vordere Begrenzung des Eingangstores
ereilte sie das selbe Schicksaal wie das ihres Vorgängers. Sie zerplatzte
wieder in der Luft….usw. Immer wieder dasselbe. Das Auftauchen und Vergehen der
Erscheinung in der Luft dauerte dabei vielleicht zwei Sekunden.
Was passierte, wenn man diesem durchsichtigen Wächter in der Luft
begegnete, habe ich damals in unserer Basis auch mal ausprobiert. Man bekam
dabei ein unangenehmes Kribbeln im ganzen Körper und war dann für eine Weile
wie gelähmt. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. Denn danach lag ich
dann plötzlich wieder vor dem Eingangstor, so als wenn mich jemand aus dem
Eingangsbereich weggebracht hätte und anschließend vor dem Tor abgelegt
hatte. Vermutlich hatten diese Arbeit wohl die im Op-Saal gemacht, während ich
bewusstlos gewesen war.
Die große grüne Wiese rechts im Bild soll dagegen Teil des
Hafengeländes im Bau darstellen. Dies war eine ungefähr
"Fußballplatz-große Wiese" mitten in Mondscharade, auf der mindestens
zwei flache graue Hallen untergebracht waren.
Den Bewohnern Mondscharades war es strengstens untersagt, dieses
Gelände zu betreten. Selbst Walter hat es nie gewagt, das Gelände dieser
Hafenanlage zu betreten. Zu nächtlicher Stunde sah man hier im Winter manchmal
grün leuchtende, diskusförmige Objekte starten und landen.
Obwohl das Eis des Himmels im Bau allgegenwärtig war, war es
dennoch verboten, es zu berühren. Seine Mutter hatte deshalb auch immer
geflissentlich einen großen Bogen um die riesigen Eistürme oben in den Bergen
gemacht, damit er nicht auf dumme Ideen kam. Wenn er dennoch darauf gepocht
hatte, endlich einmal das Eis am Rande berühren zu dürfen, hatte sie ihm meist
ausweichend geantwortet: „Ach Walter, heute nicht! Das ist viel zu weit
dorthin! Lass uns heute lieber hier unten im Tal spazieren gehen…!“ oder „Dort
zum Eis können wir nicht hin. Dort führt kein Weg hin!“
Offenbar waren Eltern gehalten, selbst Kindern strenge Regeln aufzuerlegen. Kinder sollten erst einmal in einer Illusion aufwachsen (vergleichbar vielleicht mit dem Weihnachtsmann). Hätte das Kind das Eis, welches keines war, angefasst, wäre eine Illusion geplatzt. Das Dach über einem ist gar kein Eis. Früh wären weitere Fragen aufgekommen: Wer hat das Dach gemacht, was ist hinter dem Dach, warum überhaupt das Dach …
Bei einem anderen Ausflug an den Rand des Baus hat W.P. auch mal
hinter dem Eis des Dachs die tosende Brandung irgendeines Ozeans gesehen. Das
Schäumen des Ozeans draußen, war dabei auch deutlich im Bau drinnen zu hören.
Es hörte sich an, als würde hier irgendein unsichtbarer Sturm toben, der in
Böen mal stärker und dann wieder schwächer wurde.
Auch
wenn über einem das Meer brandet, stellen sich Fragen und sicherlich auch der
Wunsch, einmal das zu sehen, was es alles über dem Dach zu sehen gibt.
Direkt hinter dem Ortsrand von Mondscharade schien die gesamte
Gegend so gut wie ausgestorben gewesen zu sein. Keine Menschenseele schien sich
hierher ins Sperrgebiet hinein zu verirren. Problematisch wurde es erst für Walter
erst, als die Schotterpiste durch das Sperrgebiet plötzlich vor einigen
Felsbrocken auf der Straße endete. Ab hier schien es kein Vorwärtskommen mehr
per Taxi zu geben. Walter verließ deshalb hier sein Taxi und suchte in der
umgebenden Landschaft nach Orientierungspunkten, die er mit seiner Karte vom
Sperrgebiet vergleichen konnte.
Zu seinem Erstaunen entdeckte er aber dort, wo sich in etwa die
Stelle Entero in der Landschaft befinden musste, kein kleines Örtchen wie im
Film vom Einzug, sondern nur eine größere Spalte im Dach des Baus, durch die
man blauen Himmel sehen konnte. Diese befand sich allerdings so hoch im Himmel,
dass man durch sie höchstwahrscheinlich nicht ohne Leiter nach draußen gelangen
konnte. Dennoch war Walter begeistert. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er
den blauen Himmel draußen mit seinen eigenen Augen gesehen. Ein drinnen und
draußen oberhalb ihrer Welt schien es also tatsächlich zu geben.
Walter wurde nun mit einem Mal schlagartig klar, was die Älteren
immer mit dem Dach und der unterirdischen Höhle gemeint hatten. Ihr weißes Dach
war also eine Art Trennwand, die eine Welt oben von einer Welt unten trennte.
Oben gab es blauen Himmel und Wolken und unten nur weißen Himmel ohne Wolken.
…
W.P. verglich erneut die Karte vom Bau, die man ihm gegeben hatte,
mit den geografischen Verhältnissen. Erstaunt stellte er dabei fest: „Seltsam
nur, dass der Rest des Tals da hinten nicht mehr auf der Karte verzeichnet war.
Diesen Teil der Karte schien irgendjemand mit einer Schere abgeschnitten zu
haben! Warum nur? Warum nur wollten sie, dass niemand von diesem Teil des
Sperrgebiets erfuhr? – Vielleicht wussten sie, dass man hier rauskam und
wollten nicht, dass man davon wusste. Wahrscheinlich wollten sie nicht, dass
man zu denen in Russland ging, weil sie wussten, dass es dort in Russland keine
guten Orte gab, zu denen man hingehen konnte.
Selbst
wenn der Bau für ein Kind womöglich recht groß wirkte, so kam man doch, wenn
die Maßangaben des Barabou stimmten, schon nach einer Stunde Wegzeit von einem
Ende zum äußersten gegenüberliegenden Bereich. Ein Querung in den schmaleren
Bereichen dürfte nicht einmal 20 Minuten gedauert haben. Die Versuchung, schon
als Kind einmal an die Grenzen zu gehen, dürfte sehr groß gewesen sein. Mit
natürlichen Grenzen, z. B. einer Insel im Ozean, hätte man es deutlich leichter
gehabt, solch eine isolierte Welt zu betreiben.
Sein
Ausflug (Walter Pfeffer) ins Sperrgebiet, brachte ihm im übrigen seinen
Arbeitsplatzverlust ein. Als Strafe wurde er überdies auf unbestimmte Zeit für
Arbeiten in einer Kläranlage eingesetzt. Die im Bau hatten also ihre Methoden,
Menschen einzuschüchtern und bei der Stange zu halten.
Viel
wird es den Verantwortlichen im Bau darum gegangen sein, trotz der Isolation,
den Menschen dort ein (den Umständen entsprechend) normales Leben zu
ermöglichen, denn so ist es wesentlich leichter, sie zu regieren; andernfalls
hätte man sie wie Sklaven behandeln müssen. Mit einer entsprechenden
Schulbildung und einer geeigneten Philosophie (Weltanschauung), die recht religiös ausgerichtet zu sein schien, hat man die meisten
Menschen dort irgendwie halten können..
Autor: B. Freytag
www.fallwelt.de/NeuBerlin/sperrgebiet.htm